Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen

Mit der ASchG-Novelle (BGBl. Nr. I 118/2012), die am 1.1.2013 in Kraft getreten ist, wird die Wichtigkeit der psychischen Gesundheit und der Prävention arbeitsbedingter psychischer Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen stärker betont.

Allgemeines

Psychische Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen, sind neben den Belastungen des Muskel-Skelett-Apparates eine häufige Ursache für arbeitsbedingte Beschwerden und Erkrankungen. Sie verursachen viel menschliches Leid, aber auch enorme betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Kosten.

Die ÖNORM EN ISO 10075 "Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastungen"
wurde durch eine Arbeitsgruppe des Internationalen Normenausschusses Ergonomie (ISO TC 159) erarbeitet. Sie schafft ein gemeinsames Grundverständnis und besteht aus drei Teilen.

Teil 1: Allgemeines und Begriffe (ÖNORM EN ISO 10075-1:2017)
Teil 2: Gestaltungsgrundsätze (ÖNORM EN ISO 10075-2:2000)
Teil 3: Grundsätze und Anforderungen an Verfahren zur Messung und Erfassung psychischer Arbeitsbelastungen (ÖNORM EN ISO 10075-3:2004)

Werden Gefahren durch psychische Belastungen ermittelt, sollten unter Beteiligung der Beschäftigten geeignete Maßnahmen festgelegt, durchgeführt und anschließend auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Die vielfältigen psychischen Belastungen können verringert werden, wenn beispielsweise Arbeitsabläufe, Arbeitsanforderungen, Arbeitsorganisation, soziale Beziehungen sowie die Arbeitsumgebung verbessert und optimiert werden. Zur Arbeitsorganisation gehört auch die Gestaltung der Arbeitszeit. Das Ziel der Veränderung ist die menschengerechte Gestaltung der Arbeit.

Gefahren durch psychische Belastung können unter anderem sein

  • Zunehmender Zeit- und Termindruck
  • Beschleunigung, Arbeitsverdichtung, Multitasking
  • Wiederholung immer gleicher Arbeitsvorgänge in kurzen Zeitabständen
  • Informationsmangel oder -überflutung
  • Freundlichkeitsdruck, Umgang mit Leid und Krankheiten
  • knappe Personalbemessung
  • Verwischen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit
  • häufige Umstrukturierungen, Angst vor Arbeitsplatzverlust
  • fehlende Handlungsspielräume und mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten
  • isoliertes Arbeiten ohne Möglichkeit zu sozialen Kontakten
  • Lärm, Hitze, Kälte, Zwangshaltungen, enge räumliche Verhältnisse

Die beispielhaft angeführten Belastungen treten aber meist in Kombination auf und nicht isoliert, z.B. Zwangshaltungen und Zeitdruck. In einigen Untersuchungen wurde insbesondere die Wechselwirkung zwischen psychischen Belastungen und Muskel-Skelett-Erkrankungen beschrieben.
Psychische Fehlbeanspruchungen verursachen oder beeinflussen aber auch andere Erkrankungen wie z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magen-Darmerkrankungen, Immunerkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, wie z.B. Diabetes mellitus.

Psychische Fehlbelastung - Negative Auswirkungen auf die Gesundheit (PDF, 0,2 MB)

Quellen dieses Folders: 

  • Handlungsspielraum: Iga.Report 31 „Risikobereiche für psychische Belastungen“
  • Soziale Unterstützung: Baua-Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“. Poster und Bericht „Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz“
  • Führungsverhalten: Baua-Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“. Poster und Bericht „Führung“
  • Gerechtigkeit und Anerkennung: Baua-Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“. Poster „Gerechtigkeit: 2 Belohnung/Effort-Reward-Imbalance“ und Buch von Siegrist "Arbeitswelt und stressbedingte Erkrankungen" (2015)
  • Betriebliche Auswirkungen: Fehlzeitenreport. Leoni & Uhl (2016)

Messverfahren

Informationen zu Messverfahren und zur Umsetzung der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen finden Sie auf der AUVA-Webseite.

Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen - Eine Entscheidungshilfe für Messverfahren (PDF, 0,2 MB)

Ermittlung, Beurteilung, Maßnahmenfestlegung und Überprüfung der Wirksamkeit

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind verpflichtet für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit betreffen zu sorgen.

§ 2 Abs. 7 ASchG: „Unter Gefahren im Sinne dieses Bundesgesetzes sind arbeitsbedingte physische und psychische Belastungen zu verstehen, die zu Fehlbeanspruchungen führen."
§ 2 Abs. 7a ASchG: „Unter Gesundheit im Sinne dieses Bundesgesetzes ist physische und psychische Gesundheit zu verstehen." (§ 2 ASchG)

Gefährdungen können sowohl durch physische als auch durch psychische (psychosoziale, psychomentale oder psychoemotionale) Belastungen und durch deren Wechselwirkung enstehen. Physische Belastungen können zu psychischen Beeinträchtigungen führen oder auch umgekehrt.

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben sich dabei über den neuesten Stand der Technik und der Erkenntnisse auf dem Gebiet der Arbeitsgestaltung entsprechend zu informieren und diese zu berücksichtigen. (§ 3 ASchG)

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben die Ursachen von arbeitsbedingten psychischen Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen, zu ermitteln und zu beurteilen und Maßnahmen zur Verbesserung zu treffen. Dabei sind die Grundsätze der Gefahrenverhütung gemäß § 7 ASchG anzuwenden. Es ist auch die Gestaltung der Arbeitsaufgaben und die Art der Tätigkeiten, der Arbeitsumgebung, der Arbeitsabläufe sowie der Arbeitsorganisation zu berücksichtigen. Die Wirkung der getroffenen Maßnahmen ist zu überprüfen und die Maßnahmen sind erforderlichenfalls anzupassen. Die Ergebnisse der Ermittlung und Beurteilung sowie die durchgeführten Maßnahmen sind in einer geeigneten Art und Weise nachvollziehbar zu dokumentieren. ( §§ 4, 5, 7 ASchG

Auch bei der Gefahrenverhütung sind die grundlegenden Dimensionen arbeitsbedingter psychischer Belastungen sowie deren Zusammen- und Wechselwirkung und die Schnittstelle Mensch-Technik-Organisation zu berücksichtigen, weshalb die Grundsätze der Gefahrenverhütung – neben anderen Aspekten – Folgendes festlegen:

  • Berücksichtigung der Gestaltung der Arbeitsaufgaben und Art der Tätigkeiten, der Arbeitsumgebung, der Arbeitsabläufe und Arbeitsorganisation (§ 7 Z 4a ASchG) und
  • Planung der Gefahrenverhütung mit dem Ziel einer kohärenten Verknüpfung von Technik, Tätigkeiten und Aufgaben, Arbeitsorganisation, Arbeitsabläufen, Arbeitsbedingungen, Arbeitsumgebung, sozialen Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz (§ 7 Z 7 ASchG)

Eine Überprüfung und erforderlichenfalls Anpassung der Evaluierung muss auch „nach Zwischenfällen mit erhöhter arbeitsbedingter psychischer Fehlbeanspruchung" erfolgen (§ 4 Abs. 5 Z 2a ASchG). Beispiele für solche Zwischenfälle, die eine akute psychische Belastungsreaktion auslösen können, sind etwa die Häufung von Konflikten oder Beschwerden, Gewaltübergriffe oder eine posttraumatische Belastungsstörung nach einem Arbeitsunfall.

Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastung - Eine Einteilungshilfe für Arbeitsplätze (Tätigkeitsgruppen) (PDF, 0,2 MB)

Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastung (§§ 4 und 7 ASchG) - Eine Handlungsanleitung zur Wirksamkeitskontrolle von Maßnahmen (PDF, 0,2 MB)

Arbeitspsychologinnen und Arbeitspsychologen im ASchG

  • Arbeitspsychologinnen und Arbeitspsychologen sind keine Präventivfachkräfte (das sind nur Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmedizinerinnen/Arbeitsmedziner).
  • Arbeitspsychologinnen und Arbeitspsychologen sind „sonstige Fachleute" (§ 82a Abs. 5 ASchG). Für „sonstige Fachleute" gilt § 82b ASchG.

Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben Arbeitspsychologinnen und Arbeitspsychologen (als „sonstige Fachleute")

  • „erforderlichenfalls" bei der Evaluierung heranzuziehen und können sie auch mit der Evaluierung beauftragen (§ 4 Abs. 6 ASchG),
  • „erforderlichenfalls" für die Unterweisung heranzuziehen (§ 14 Abs. 1 ASchG),
  • „erforderlichenfalls" in den Angelegenheiten gemäß § 76 Abs. 3 bzw. § 81 Abs. 3 ASchG beizuziehen und können sie im Ausmaß von max. 25 % der Präventionszeit beschäftigen.

„Erforderlichenfalls" bedeutet, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber je nach der in der konkreten Arbeitsstätte gegebenen Gefährdungs- und Belastungssituation beurteilen und entscheiden, ob für eine bestimmte Aufgabenstellung die fachlichen Qualifikationen der Sicherheitsfachkraft und der Arbeitsmedizinerin des Arbeitsmediziners ausreichen oder eine sonstige Expertise erforderlich ist. Z.B. werden ab 1.1.2013 auch in der Ausbildung von Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner verstärkt Kenntnisse in Arbeits- und Organisationspsychologie und Evaluierung psychischer Belastungen vermittelt werden (eine entsprechende Novelle zur arbeitsmedizinischen Ausbildungsverordnung wurde mit BGBl. II Nr. 463/2012 kundgemacht).

Arbeitspsychologie und Unterweisung - Interdisziplinäres Fachwissen und arbeitspsychologische Themen (PDF, 0,1 MB)

Publikationen

Leitfaden zur Bewertung der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen

Der Leitfaden der Arbeitsinspektion zur Bewertung der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen bei der Kontroll- und Beratungstätigkeit (PDF, 0,5 MB) beschreibt die Ziele, die Aufgaben, das Vorgehen der Arbeitsinspektion bei ihrer Kontroll- und Beratungstätigkeit. Die Grundlagen für die Bewertung der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen durch die Arbeitsinspektion finden sich in einem Kriterienkatalog und in einer Übersichtstabelle. Im Abschnitt 6 finden Sie Informationen zur Eignung und zum Einsatz von Messverfahren zur Ermittlung und Beurteilung arbeitsbedingter psychischer Belastungen und im Anhang 1 ausführliche Erläuterungen zum Leitfaden.


Der Leitfaden der Arbeitsinspektion ebenso wie das Merkblatt Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) (PDF, 1,1 MB) des BMAW, der Industriellenvereinigung und der WKÖ sind eine Orientierungshilfe und liefern Anhaltspunkte für Betriebe (Arbeitgeberinnen/Arbeitgerber, Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer, Betriebsrat, Präventivfachkräfte und sonstige Fachleute, insbesondere Arbeitspsychologinnen und Arbeitspsychologen) für die Umsetzung der Arbeitsplatzevaluierung.

Die österreichischen Sozialpartner (WKÖ, IV, AKÖ, ÖGB) haben im Jahre 2004 die österreichischen Leitlinien zur Umsetzung der Rahmenvereinbarung der Europäischen Sozialpartner zu arbeitsbedingtem Stress verabschiedet.

Kurz-Video: 5 Schritte zur erfolgreichen Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen 

Anhand weniger Schritten wird anschaulich beschrieben, wie im Rahmen der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen gefährliche Arbeitsbedingungen ermittelt und beurteilt werden können und erforderliche Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen festgelegt und umgesetzt werden können. Eine sinnvolle Sicherheits- und Gesundheitsdokumentation wird ebenso beschrieben wie Anlassfälle zur Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Evaluierung.

zum Video "Stress am Arbeitsplatz managen" mit Untertitel auf YouTube

Weitere Merkblätter, Broschüren, Leitfäden und Leitlinien

Arbeits- und Organisationspsychologie

Die Arbeits- und Organsiationspsychologie befasst sich mit den psychologischen Faktoren arbeitender Menschen in Organisationen. Sie beobachtet und analysiert Arbeitsbedingungen und Arbeitsaufgaben und die Ressourcen der arbeitenden Menschen.

Vom Berufsverband der österreichischen PsychologInnen (BÖP) und der Gesellschaft kritischer Psychologinnen und Psychologen (GkPP) wurden Qualifikationskriterien für Arbeitspsychologinnen und Arbeitspsychologen erarbeitet; auf dieser Grundlage haben die beiden Fachgesellschaften Arbeitspsychologinnen und Arbeitspsychologen zertifiziert.

Letzte Änderung am: 20.07.2022